Die Rolle des Samurai
Ein Samurai ist stets wachsam und aufmerksam. Seine wahren Gefühle und Meinungen verbirgt er vor anderen Menschen. Er achtet auf seinen Ehrenkodex, dass er keinen Menschen (oder ein sonstiges Lebewesen) hinterrücks angreifen darf. Feigheit und Niederlagen kennt ein Samurai nicht. Er würde sich eher selbst umbringen, als in einem Zweikampf schmählich zu verlieren.
Die Samurai oder Bushi, der Kriegeradel Japans, waren bedingungslos auf ihren jeweiligen Lehnsherrn im Feudalsystem des japanischen Kaiserreichs eingeschworen. Sie trugen jahrhundertelang die Kriege verfeindeter Daimyo (Fürsten) gegeneinander aus.
Für die Samurai entwickelten die legendären Schmiede Japans, deren Kunst im Falten von Eisen und im Schärfen noch heute zu einem heiligen Werk verklärt wird, aus den geraden, zweischneidigen Schwertern Chinas perfekt ausbalancierte, gekrümmte, einschneidige Klingen. Durch ihre Härte sind jene - erwiesenermaßen - in der Lage, ein europäisches Schwert aus der gleichen Zeit zu zerschlagen. Und man hält sie für so scharf, dass ein Blatt, welches von einem Zweig herab auf die Schneide fällt, von selbst zerteilt wird.
Selbst die Samurai in ihren leichten, aber bis ins Detail ausgeklügelten Rüstungen (welche es ermöglichten, zu laufen oder sogar eine kurze Strecke schwimmen, ohne unterzugehen) griffen in der Schlacht nur im Notfall auf diese Waffen zurück. Denn mit ihnen mussten sie sich auch in die Reichweite des gegnerischen Schwertes begeben, wo oft beide Kontrahenten im Einzelkampf der Tod erwartete. Bevorzugt wurden deshalb zuerst einmal Langbogen und Speer.
Eine solche Kampfsituation, bar jeglichen Schutzes gegen die rasiermesserscharfen Klingen (außer der Fähigkeit, schneller und besser zu treffen) erforderte Todesmut und eine hervorragende Kampftechnik: Jedes Zögern im entscheidenden Augenblick, jede Unachtsamkeit musste das Verhängnis herabbeschwören! Nur wer sich von seinen Gefühlen lösen konnte und frei von Todesfurcht das Schwert führte, besiegte so nach der eigenen psychischen Schwäche auch den Gegner.
Dem Gottkaiser, der jahrhundertelang ein Schattendasein als Marionette rivalisierender Adelsdynastien und später der Militärdiktatoren (Shogun) geführt hatte, fiel im Zeitalter des Imperialismus der Großmächte in Japan wieder die Macht zu. Als Schutzherr vor den Ausländern und Alleinherrscher mit der längsten nachweisbaren Ahnenreihe aller Adelshäuser auf der ganzen Welt beanspruchte er das Gewaltmonopol über sein Inselreich. Also wurden nicht nur sämtlich Fürstenarmeen verboten, sondern auch das Tragen und der Umgang mit bestimmten Kriegswaffen: Damit waren Samurai außerhalb des kaiserlichen Heeres zur Bedeutungslosigkeit verdammt.
Um ihre Identität, ihre Sitten und Waffenfertigkeiten zu bewahren (in der vergeblichen Hoffnung auf einen politischen Umschwung) verwandelten sie ihre Kriegskünste in spirituelle Wege zur Selbstfindung, gestützt durch Leibesübungen und Körpererfahrung. Diesen Pfad beschritten bald auch andere Japaner, nach dem 2. Weltkrieg auch US-Amerikaner und Europäer:
Die Philosophie
Aus Thomas Prestons Buch: "Samurai-Geist"
Tod
Unreife Leute denken: "Irgendwann einmal, in ferner Zukunft, nachdem ich mein Leben gelebt habe, werde ich sterben." Eine reife Person ist bereit, heute zu sterben.
Ein "Ich bin bereit, heute zu sterben" bedeutet aber auch: Ich lebe jede Minute, die mir vergönnt ist, in voller Anerkennung und Wertschätzung ihres unendlichen Wertes.
Mut
Der mutige Mensch ist kein lauter Maulheld, der immer den allergefährlichsten Weg beschreitet. Vielmehr behält er selbst in Anbetracht höchster Gefahr seine Selbstkontrolle. Mut ist eine Kombination vieler Faktoren. Vor allem verlangt Mut Motivation und Anstrengung. Viele Kämpfer wurden besiegt von ihrer eigenen Furcht, und nicht von einem geschickten Gegner. Deshalb darf die Förderung von Mut in der Entwicklung eines Schwertkämpfers keinesfalls vernachlässigt werden.
Zen und Schwertkunst
Zen hilft, fortgeschrittenen Schwertkämpfern das Ziel der totalen Konzentration im Kampf zu lehren. Der Schwertkämpfer sollte seinem Denken nicht erlauben sich zu etwas zu wünschen: zu gewinnen, zu überleben, Ehrungen zu erhalten, Schmähungen zu vermeiden. Dies lenkt nur ab vom echten Kampf.
Eigenständiges Denken
Möchte der junge Schwertkämpfer in seinem Metier vorankommen, so muss er aus freien Stücken eine lange Lehrzeit auf sich nehmen. Während dieser Zeit muss er Ratschläge wie ein Schwamm aufsaugen. Je eher der Anfänger mit dem Zuhören und Nachahmen aufhört, desto eher wird er auch aufhören, Fortschritte zu machen.
... Die Grundlagen zu einem zufriedenen Leben sind wirklich ganz einfach. Doch ist die erste Forderung an den Schwertkämpfer, der sich philosophisch weiterbilden will, diametral entgegengesetzt der Forderung, Fortschritte im Kampf zu erzielen: er muss jetzt den Mut aufbringen, selbständig zu denken. Eine überwältigende Mehrheit der Leute richten ihr Leben nur nach der Volksweisheit- und da ist nur allzu oft überhaupt keine Weisheit. Wenn man es nun wagt, selbständig zu denken, so wird man auch den Mut brauchen, den man sich im Dojo (Übungsraum) erworben hat, da man auf starken Widerstand von allen Seiten stoßen wird.
Geistiger Fortschritt
Für einen Samurai-Philosophen stellt das tägliche Leben außerhalb des Dojo nichts anderes dar als die Fortsetzung seines Bestrebens im Dojo, den Kampf um die Beherrschung des eigenen Ichs zu gewinnen. Die Schläge und Stöße des Partners im Dojo gleichen Werkzeugen, die man zur Verbesserung der eigenen Kampftechnik nutzt. Außerhalb des Dojo sind die kleinen Schicksalsschläge das Werkzeug, mit denen man seinen Charakter formt. Beide Geschehen, das innerhalb und das außerhalb des Dojo, begrüßt man als eine willkommene Gelegenheit, mit Herausforderungen aller Art fertig zu werden. Freude schöpft man nicht aus dem Gewinnen, sondern aus der geschickten und beherzten Ausnutzung seiner eigenen Fähigkeiten in einem brillanten Kampf gegen einen würdigen Gegner. Dabei ist es unerheblich, ob dieser Gegner ein Schwerkämpfer oder ein Schicksalsschlag ist.
Das tägliche Leben
In seinem täglichen Leben ist der Samurai-Philosoph stets um seine geistige Weiterentwicklung bemüht, ganz unabhängig davon, was er gerade tut.
...Von Zeit zu Zeit muss man seinem Geist erlauben, sich hochzuschwingen in die Lüfte, weit, weit über die irdischen Bedingungen hinaus. Von solch einem Punkt aus kann er herabblicken und die wahre Bedeutungslosigkeit vielen menschlichen Tuns erkennen.
.... Man wird es zufrieden sein, bescheiden an der Weiterbildung seiner armen Seele fortfahren zu können, frei vom Wunsch, höher zu sitzen als die anderen Frösche um den Tümpel.
Das Vergleichen
Eine andere Krankheit, die geheilt werden muss, ist die fruchtlose Besessenheit, sich immer wieder mit anderen vergleichen zu wollen. Der einzig nützliche Vergleich ist das Maß des persönlichen Fortschritts: Wie gut war ich vor einem Monat, und wie gut bin ich heute? Da wir ausschließlich für unseren Fortschritt verantwortlich sind, nicht jedoch für Beigaben der Natur oder des Schicksals, sind Vergleiche mit anderen Leuten unsinnig.
Entschlossenheit
Am besten versetzt sich der Schwertkämpfer in die Rolle eines Lavaflusses, einer unwiderstehlichen Gewalt, die ungeachtet aller Hindernisse vorwärts fließt. Man muss dem Gegner zeigen, dass jeder Angriff zunichte gemacht wird und jede Schwäche mit einer alles niederwalzenden Kraft beantwortet wird. Diese zermalmende, wilde, starke Kraft ist Ki.
... Der Schwertkämpfer muß sich also vor jedem Training immer wieder vorsagen: "Ich werde nicht zurückweichen! Ich werde angreifen! Ich bin fest entschlossen, meinen Gegner niederzukämpfen!" Dies ist der einzig richtige Weg, Entschlossenheit und starkes Ki zu entwickeln.
Das Erkennen der eigenen Grenzen
Sportler zeigen Budo als eine exotische Möglichkeit, Pokale zu gewinnen und Europameister zu werden. So wird Budo von den meisten Europäern missverstanden. Was ist es nun aber "wirklich"?
Der Weg des Samurai
Ein Schwertkämpfer mit einer richtigen und philosophischen Lebenseinstellung wird sein Leben nicht achtlos fortwerfen. Er ist entschlossen, beherzt zu kämpfen, wenn er dazu gezwungen wird. ... Für seine eigenen Ideen, seine Vorstellungen, seine Fähigkeiten und seinen Mut zeichnet er voll verantwortlich. Soweit es in seiner Macht steht, wird er versuchen, positiv die Ideen, Einstellungen, Fähigkeiten und den Mut derjenigen Personen zu beeinflussen, die sich seinem Einfluss öffnen. Er wird aber auch erkennen müssen, dass jede Person selbst verantwortlich für ihr Leben ist, und dass er anderen nur bis zu dem Grad, den sie zulassen, helfen kann.
Bescheidenheit
Will ein Samurai Fortschritte machen, so muss er bereit sein, seine Fehler und Mängel zu erkennen und sich mit großer Energie mit ihnen zu beschäftigen. Tut er dies nicht, so wird er sie übersehen und nur aufgrund seiner technischen Fähigkeiten, stolz wie ein aufgeblasener Gockel einherspazieren. Es ist nicht unser Hauptlebenszweck auf dieser Welt, gute Kämpfer zu werden, sondern uns zu guten Menschen zu entwickeln. Dies verlangt Bescheidenheit, denn ohne sie sind wir blind für die zahllosen Gelegenheiten zur Vervollkommnung.